Dienstag, Mai 17, 2005

Seelenlose Erbsenzähler

Der folgende Tages-Anzeigerartikel sagt doch viel über diese Firma.

vom Freitag, 6. Mai 2005

MIGROS streicht ihren Rentnern einen Zustupf von 100 Franken, TA vom 30.4.
Als langjährige MIGROS -Mitarbeiterin ver­stehe ich diesen Entscheid, der - im besten Migros-Jahr - von wenig Fingerspitzenge­fühl zeugt. Er passt ins Bild einer neuen Migros, eines Unternehmens, das von An­ton Scherrer und seinen Beratern, McKin­sey und Co., unauffällig, aber erbarmungs­los auf Kostensparen getrimmt wird. Den harten Sparkurs bekommen vor allem die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu spü­ren, die entlassenen, frühpensionierten, abgestuften - und nicht zuletzt die verblei­benden. Dass sich solches Sparen kurzfris­tig bezahlt macht, ist klar. Wie es sich län­gerfristig auswirkt auf die Identifikation und die Leistungsbereitschaft, auf die öf­fentliche Wahrnehmung, das «Migros­Image», ist eine andere Frage. Geht es in diesem Stil weiter, werden wir uns in ein paar Jahren fragen können, ob die Migros immer noch ein Unternehmen mit einer sozialen Schrittmacherrolle ist oder eben eine Firma wie jede andere: Lidl, Carre­four, Aldi.

Mit welchem Respekt, mit welcher Dank­barkeit für eine erbrachte Leistung und mit welchem sozialem Empfinden ent­scheidet eine kleine Zahl so genannter Ma­nager, den Pensionären der Migros das all­jährlich zugedachte Weihnachtsgeld von 100 Franken zu verweigern? Nur, um sich selbst noch mehr zu bereichern? Denn sie spielen ja längst in einer anderen Salärliga. Seinerzeit sind von der Migros bei der misslungenen Österreich-Expansion Hun­derte von Millionen in den Sand gesetzt worden. Die MIGROS hat letztes Jahr 545 Millionen Reingewinn gemacht. In der Bi­lanz erscheinen mehr als 8000 Millionen (8 Milliarden) als Gewinnreserve (was ist das?) und Milliarden anderer Reserven. Und Gratifikationen von jämmerlichen 2 Millionen werden den Rentnern verwei­gert. Als Genossenschafter und damit Migros-Miteigentümer schäme ich mich für diese arrogante Haltung seelenloser Erbsenzähler.

Die rechtliche Unabhängigkeit der Pensi­onskassen von den Arbeitgeberfirmen und die paritätische Besetzung der Stiftungs­räte (halb Arbeitnehmer, halb Arbeitge­ber) war und ist eine Errungenschaft des BVG, des «Pensionskassengesetzes». Wa­rum wendet sich TA-Redaktor Odermatt also statt an die rechtlich und faktisch un­zuständige MIGROS-«Zentrale» nicht an ei­ne(n) der Arbeitnehmer-StiftungsrätIn­nen? Vermutlich wäre ihm erklärt worden, dass allein schon die Unterdotierung der Schwankungsreserven die künftigen Ren­ten gefährden könnte - ganz zu schweigen von der demografischen Entwicklung, neuen gesetzlichen Pflichtleistungen wie Partnerschafts- und Witwerrenten. Diese sind allesamt nicht finanziert und werden Zins-und Umwandlungssätze noch in weit höherem Mass sinken lassen müssen als bisher geschehen. Keiner künftigen Rent­nergeneration wird es so gut gehen wie der heutigen. Das Leistungsziel - Beibe­haltung des bisherigen Lebensstils - wird auch bei gestiegenen Beiträgen nie mehr erreicht werden können. Heute gestri­chene freiwillige «Zustüpfe» werden spä­teren Rentnern ein Trostpflaster sein.