Seelenlose Erbsenzähler
Der folgende Tages-Anzeigerartikel sagt doch viel über diese Firma.
vom Freitag, 6. Mai 2005
MIGROS streicht ihren Rentnern einen Zustupf von 100 Franken, TA vom 30.4.
Als langjährige MIGROS -Mitarbeiterin verstehe ich diesen Entscheid, der - im besten Migros-Jahr - von wenig Fingerspitzengefühl zeugt. Er passt ins Bild einer neuen Migros, eines Unternehmens, das von Anton Scherrer und seinen Beratern, McKinsey und Co., unauffällig, aber erbarmungslos auf Kostensparen getrimmt wird. Den harten Sparkurs bekommen vor allem die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu spüren, die entlassenen, frühpensionierten, abgestuften - und nicht zuletzt die verbleibenden. Dass sich solches Sparen kurzfristig bezahlt macht, ist klar. Wie es sich längerfristig auswirkt auf die Identifikation und die Leistungsbereitschaft, auf die öffentliche Wahrnehmung, das «MigrosImage», ist eine andere Frage. Geht es in diesem Stil weiter, werden wir uns in ein paar Jahren fragen können, ob die Migros immer noch ein Unternehmen mit einer sozialen Schrittmacherrolle ist oder eben eine Firma wie jede andere: Lidl, Carrefour, Aldi.
Mit welchem Respekt, mit welcher Dankbarkeit für eine erbrachte Leistung und mit welchem sozialem Empfinden entscheidet eine kleine Zahl so genannter Manager, den Pensionären der Migros das alljährlich zugedachte Weihnachtsgeld von 100 Franken zu verweigern? Nur, um sich selbst noch mehr zu bereichern? Denn sie spielen ja längst in einer anderen Salärliga. Seinerzeit sind von der Migros bei der misslungenen Österreich-Expansion Hunderte von Millionen in den Sand gesetzt worden. Die MIGROS hat letztes Jahr 545 Millionen Reingewinn gemacht. In der Bilanz erscheinen mehr als 8000 Millionen (8 Milliarden) als Gewinnreserve (was ist das?) und Milliarden anderer Reserven. Und Gratifikationen von jämmerlichen 2 Millionen werden den Rentnern verweigert. Als Genossenschafter und damit Migros-Miteigentümer schäme ich mich für diese arrogante Haltung seelenloser Erbsenzähler.
Die rechtliche Unabhängigkeit der Pensionskassen von den Arbeitgeberfirmen und die paritätische Besetzung der Stiftungsräte (halb Arbeitnehmer, halb Arbeitgeber) war und ist eine Errungenschaft des BVG, des «Pensionskassengesetzes». Warum wendet sich TA-Redaktor Odermatt also statt an die rechtlich und faktisch unzuständige MIGROS-«Zentrale» nicht an eine(n) der Arbeitnehmer-StiftungsrätInnen? Vermutlich wäre ihm erklärt worden, dass allein schon die Unterdotierung der Schwankungsreserven die künftigen Renten gefährden könnte - ganz zu schweigen von der demografischen Entwicklung, neuen gesetzlichen Pflichtleistungen wie Partnerschafts- und Witwerrenten. Diese sind allesamt nicht finanziert und werden Zins-und Umwandlungssätze noch in weit höherem Mass sinken lassen müssen als bisher geschehen. Keiner künftigen Rentnergeneration wird es so gut gehen wie der heutigen. Das Leistungsziel - Beibehaltung des bisherigen Lebensstils - wird auch bei gestiegenen Beiträgen nie mehr erreicht werden können. Heute gestrichene freiwillige «Zustüpfe» werden späteren Rentnern ein Trostpflaster sein.
0 Comments:
Kommentar veröffentlichen
<< Home