Donnerstag, März 30, 2006

Brief an Anton Scherrer

Dr. Anton Scherrer
Mönchhofstr.9
8802 Kilchberg, ZH


Baar, Weihnachtszeit 2005

Sehr geehrter Herr Dr. Scherrer

Irgendwo habe ich einmal gelesen, Sie seien ein gläubiger Christ. Deshalb möchte ich Sie gerade jetzt in der Weihnachtszeit einmal damit konfrontieren, was Sie als ehemaliger oberster Manager der Migros mitgeholfen haben anzurichten.

Vor ziemlich genau 2 Jahren hat man mir beim MGB meine Entlassung mitgeteilt. Mein Schwiegervater in Rumänien lag zur gleichen Zeit im Sterben. Damals war ich 50 Jahre alt und habe mehr als 13 Jahre für die Migros gearbeitet, wohl verstanden loyal, ohne grössere Fehler, ohne zu stehlen oder nur jemanden zu beschimpfen.

Drei zusätzliche Monatslöhne, ein gutes Zeugnis, ein schlechtes Outplacement und tschüss. Seither suche ich ohne Erfolg eine neue Stelle – mehr als 350 Bewerbungen. Ich bin nicht schlecht ausgebildet, spreche Englisch und Französisch. Doch mit bald 53 – keine Chance. Nicht einmal für einen Billigjob in der Migros.

Am Schlimmsten ist jedoch, was man meiner Familie damit angetan hat.

Meine 82 jährige Mutter. Eigentlich sollte ich sie in diesem Alter unter­stützen. Stattdessen macht sie sich Sorgen um mich. Jedes Mal fragt sie mich: „Wie geht es weiter?“, und ich weiss keine Antwort.

Mein jüngerer Bruder: Er leidet an Polyneuropathie, eine schwere Krankheit. Einige Arten führen manchmal in wenigen Jahren zum Tod. Auch er hat keinen Job, ist ausgesteuert und kann nicht einmal mehr seine Arztrechnungen bezahlen. Wie kann ich ihn in meiner Situation unterstützen?

Die Familie meiner Frau in Rumänien: Meine Frau hatte in Rumänien einen guten Job und konnte damit die ganze Familie unterstützen. Sie ist 2001 in die Schweiz gekommen, im Glauben, dass ich dann diese Rolle übernehmen werde oder übernehmen kann. Besonders für die heute 9 jährige Nichte meiner Frau, Aky ist diese Unterstützung wichtig, da in einem solchen Land die Ausbildung für ein Mädchen viel wichtiger ist als hier. Hat sie ohne unsere Hilfe eine Zukunft? Das Migros-Engagement lässt grüssen.

Was denken Sie? Wie fühle ich mich? 2 Jahre lang mit Sorgen ins Bett und mit Sorgen aufstehen und dazwischen eine schlaflose Nacht. Im Mai 2006 werde ich ausgesteuert. Der Weg nach unten ist also für mich und meine Familie noch lange nicht zu Ende.

Ich erlaube mir, Kopien von diesem Brief an einige weitere „MangerInnen“ der so erfolgreichen MIGROS sowie an meine Ex-Chefs zu senden, damit alle ein bischen stolz auch ihre Leistung sein können, schliesslich ist Jahresende und die Zeit der Qualifikationsgespräche.

Ich möchte nicht jemandem die Stimmung verderben, sollte sich aber jemand betroffen fühlen, so ist das durchaus beabsichtigt.

Trotz allem
Frohe Weihnachten und ein gutes und erfolgreiches 2006 (denn alles andere nützt eh niemandem etwas)

Kopie an: Felix Weiss, Bernd Messerer, Jörg Zulauf, Herbert Bolliger, Eveline Bleuler, Fredy Beutler