Freitag, März 03, 2006

Leserbrief im Tages-Anzeiger - 2006-03-03

Das Alter geniessen. Soso, ältere Arbeitnehmer sollen wieder eine Zukunft haben! Das wäre ja schön, wenn diese Aussage für alle «älteren» Arbeitnehmer gelten würden. Als 46-jährige allein stehende Powerfrau würde ich mich sehr darüber freuen, suche ich doch seit Dezember auch wieder einen Job und habe schon über fünfzig Bewerbungen geschrieben. Mein früherer Arbeitsplatz wurde wegorganisiert. Nur stellt sich bei mir nicht die Frage, ob ich geistig fit und ausgelastet bin im Alter, sondern in meinem Fall geht es nur ums Überleben und darum, eine anständige Existenz zu haben! Wenn es nur darum geht, eine sinnvolle Tätigkeit im Alter zu haben, könnte Andre Ingold sich doch als Fahrer fürs Behindertentaxi zur Verfügung stellen.

Ich habe dreissig Jahre praktisch ohne Unterbruch gearbeitet, und alles, was ich möchte, ist, meine eigene Altersvorsorge zu sichern, um dann meine Pension geistig fit, gesund und unabhängig geniessen zu können. Darauf freue ich mich schon sehr. Aber jetzt habe ich ein Problem: Um mein Ziel, im Alter unabhängig zu sein, zu verwirklichen, brauche ich einen Job! Und zwar ohne dass ich Englisch, Italienisch, Spanisch, Russisch oder was weiss ich sonst noch reden können muss. Ich kann leider nur fliessend Französisch, etwas Englisch und Italienisch.

Heute musste ich mir am Telefon schon wieder kaltschnäuzig sagen lassen, dass ich zu alt sei. Also: Um was geht es hier wirklich? Liege ich so falsch, wenn ich mich frage, was sinnvoller ist: den fähigen Menschen im mittleren Alter die Chance zu geben, sich die Existenz und einen unabhängigen Lebensabend zu verdienen, oder diese zu einer «unfreiwilligen Frühpensionierung» zu zwingen, nur weil es Senioren gibt, die ihren Platz nicht räumen wollen?A. S