Sonntag, Januar 28, 2007

Die Globalisierung schadet dem Mittelstand

BLICK VON WERNER VONTOBEL 28.01.2007

Inzwischen dämmert es sogar denen in Davos: Die Globalisierung schwächt den Mittelstand. Jetzt geht es darum, den sozialen Ausgleich herzustellen, bevor es endgültig zu spät ist.

Auf dem World Economic Forum in Davos trifft sich immer auch der Jet-Set der Ökonomen. Dieses Jahr war man sich weitgehend einig: «Die Mittelklasse ist eindeutig der Verlierer», meinte etwa Lawrence Summers, Finanzminister unter Clinton und Ex-Präsident der Harvard University. Und Laura Tyson, Dean der London School of Economics, fragte sich: «Natürlich ist die Globalisierung insgesamt etwas Gutes. Nur, was hilft das, wenn es immer schwieriger wird, dies den Amerikanern aus der Mittelklasse klar zu machen, deren Realeinkommen seit Jahren fallen?» Der chinesische Ökonom Zhu Min rechnete vor, dass das reichstes Hundertstel der Amerikaner heute 48 Prozent aller Einkommen für sich allein beansprucht. Und sogar Stephen Roach, der Chefökonom der Investment Bank Morgan Stanley, hielt fest, dass der Anteil der Löhne am Bruttosozialprodukt auf ein historisches Tief gesunken sei.

Was tun? «Wir werden nicht darum herum kommen, die Reichen wieder stärker zu besteuern», riet etwa Professor Robert Shiller von der Yale University. Und er mahnte zur Eile: «Wenn die Einkommen einmal sehr ungleich verteilt sind, ist es schwer, das wieder zu korrigieren.» Andere, wie der US-Ökonom Nouriel Roubini, wollen «die Verlierer der Globalisierung fit machen. Die Leute müssen die richtige Qualifizierung bekommen, um mithalten zu können.»

Doch obwohl die Top-Ökonomen offenbar klar sehen, dass die Globalisierung der Mehrheit der Menschen (zumindest in den Industriestaaten) vorwiegend Nachteile bringt, denken sie – als Sieger der Globalisierung – gar nicht daran, sie grundsätzlich in Frage zu stellen. Nicht die Globalisierung macht ihnen Angst, sondern die Vorstellung, dass die Leute diese bittere Pille nicht länger schlucken wollen.

Dahinter steckt der uralte Glaubenssatz, dass eine immer noch grössere Arbeitsteilung und Spezialisierung der einzig wichtige Wachstumsmotor sei. Dani Rodrik von der Harvard-University ist einer der wenigen Ökonomen, die versucht haben, diese kühne These zu testen. Sein Befund ist klar: Noch mehr Arbeitsteilung bringt, wenn überhaupt, nur wenig zusätzliches Wachstum. Ein Grund dafür steckt im Stau: Mehr Handel heisst mehr Transport, mehr Transport heisst mehr Verstopfung und mehr Kosten.

Die Globalisierung schafft zwar kaum Wachstum, aber sie bewirkt, dass die Arbeitgeber die Löhne drücken, und damit ihre Gewinne steigern können. Zudem hat der Standortwettbewerb zum Abbau der sozialstaatlichen Leistungen beigetragen. Dieser Zusammenhang ist inzwischen unter Ökonomen nicht mehr umstritten. Sie sind aber generell darauf getrimmt, Verteilungsfragen zu vernachlässigen. Für sie zählt nur das Wachstum des Sozialprodukts, egal wie es verteilt wird.

Deshalb verdrängen sie auch den nahe liegenden Verdacht, dass die abnehmende Kaufkraft der Mittelklasse die Nachfrage und damit das Wachstum dämpft. Es ist kaum ein Zufall, dass der «Globalisierungsindex» der Konjunkturforschungsstelle KOF der ETH folgenden Zusammenhang zeigt: Je schneller der Index steigt, desto langsamer wächst das BIP. Seit drei Jahren sinkt der Index wieder und die Wirtschaft läuft.

Doch wenn es stimmt, dass die Globalisierung kaum Wachstum bringt und die Arbeitnehmer schwächt, dann ist eine Reichensteuer, wie sie unter anderen Larry Summers und Robert Shiller in Davos gefordert haben, nur die zweitbeste Lösung. Besser wäre es, das Übel an der Wurzel zu packen und die Verhandlungsposition der Arbeitnehmer gegenüber den globalen Unternehmen zu stärken. Dabei darf man auch über protektionistische Massnahmen nachdenken.

1 Comments:

Anonymous Anonym said...

Wunderbarer Artikel, Danke!

Januar 28, 2007 1:46 PM  

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