Freitag, Oktober 05, 2007

Ältere Arbeitssuchende

In den nächsten Jahren wird sich die Altersstruktur der arbeitenden Bevöl­kerung verändern. Die zahlenmässig star­ken Jahrgänge gehen in Pension und gebur­tenschwache Jahrgänge folgen nach. Was Experten für ungefähr das Jahr 2015 voraus­sagen, hat in manchen Branchen bereits begonnen: ein Mangel an Arbeitskräften. Macht man sich in den Unternehmen im Hinblick auf diesen demografischen Wandel Gedanken? Werden neue Modelle entwi­ckelt, damit auch ältere Stellensuchende wieder vermehrt eine Chance haben?

«Partiell kann man ein Umdenken fest­stellen, im grossen Ganzen aber ist der Stel­lenmarkt immer noch sehr auf Junge kon­zentriert», sagt Ruedi Winkler, Inhaber einer Firma für Personal- und Organisationsent­wicklung und Verfasser der soeben erschie­nenen Infoschrift «Arbeitnehmende 50+»*. Dass man sich in den Firmen aber seriös mit dem anstehenden Wandel auseinanderset­ze, davon könne keine Rede sein. «So lange im Voraus planen Unternehmen gar nicht.» Reagiert werde immer nur kurzfristig. «In manchen Firmen werden jetzt Pensionierte wieder eingestellt, weil man festgestellt hat, dass man in etwas zu grossem Stil Mitarbei­tende frühzeitig in Pension geschickt hatte.» Solche Massnahmen lägen aber immerhauptsächlich im Interesse der Unter­nehmen und hätten noch nichts mit «al­ternsgerechter» Personalpolitik zu tun. «Un­ternehmen sind nun mal keine sozialen Institutionen.» Wenn Firmen ihre Mitarbei­tenden bis zur regulären Pensionierung be­schäftigten, sei das auch schon «das höchs­te der Gefühle». Neu einstellen würden sie Bewerbende dieser Alterklasse aber auch nicht mehr.

«Anfang, Mitte 50 – das ist doch eigent­lich noch kein Alter», sagt Susanne Britsch­gi, Mitinhaberin der Axos Personalberatung in Zürich. Aus ihrer täglichen Arbeit weiss sie aber nur zu gut, dass eben dieses Alter manchen Stellensuchenden zum Verhäng­nis wird. «Die Budgets für Personalkosten sind knapp, die Personalverantwortlichen müssen das Optimum herausholen.» Junge Stellenbewerber gäben sich mit niedrigeren Löhnen zufrieden und passten damit über­all besser ins Lohngefüge. Ältere hätten häu­fig unrealistische Lohnvorstellungen. Sol­chen Kunden rate sie, Abstriche zu machen. Tatsächlich kommt es laut Susanne Britschgi häufig vor, dass ältere Stellensuchende an einer neuen Stelle deutlich weniger verdie­nen. Ein häufig geäussertes Argument von Personalverantwortlichen gegen Ältere sei, dass man eine Reihe von Mitarbeitenden in die Frühpension geschickt habe und nur schon aus diesem Grund nicht wieder sol­che einstellen könne. «Und dann ist es ein­fach so, dass die Leute in den Personalabtei­lungen in der Regel sehr jung sind und aus ihrer Perspektive jeden über 50 schlicht als alt empfinden.» Auf die Frage, ob ihr in letz­ter Zeit eine punkto altersgerechter Perso­nalpolitik vorbildliche Firma aufgefallen sei, sagt Susanne Britschgi: «Nein, ich könnte keine nennen.»

ALTERSFREIE PRIVATWIRTSCHAFT

Wie sich die heute gängige Personalpolitik auf die Zusammensetzung der Mitarbei‑enden auswirkt, zeigen die Zahlen deutlich: So sind zum Beispiel bei der Baloise nur gerade 3,4 Prozent der Angestellten über 50 Jahre alt. Bei der Clariant sind es lediglich 4,2 Prozent. Kaum besser schneidet Holcim ab: Hier arbeiten 4,9 Prozent der Angestell­ten, die mindestens fünfzig Jahre alt sind. Bei der Swiss Re sind es sogar nur gerade 2,1 Prozent, wie eine Umfrage des Wirtschafts­magazins «Cash» zeigt.

Doch wo arbeiten jene Arbeitneh­menden, die zwischen 50 und 60 Jahren alt sind? Fragt man bei der öffentlichen Hand nach, stösst man auf eine ganz andere Altersstruktur: So sind zum Beispiel 30 Prozent der kantonalen Angestellten im Kanton Bern über 50 Jahre alt. Im Kanton Zürich ist zwar nicht gerade jeder dritte Angestellte über 50, aber auch hier heisst es, dass man eine regelmässige Verteilung der verschiedenen Altersklassen hat. Im Kanton Bern erklärt man sich die Unterschiede zur Privatwirtschaft unter anderem mit «einem anderen Mob ilitätsverhalten». Wer zum Bei­spiel als Polizist beim Kanton angestellt ist, bleibt oft bis zur Pensionierung dem Arbeit­geber treu. Nicht zuletzt auch deshalb, weil es in diesen Berufen kaum möglich ist, den Arbeitgeber zu wechseln.

Da die Kantone bereits Erfahrungen ge­sammelt haben mit einem im Vergleich zur Privatwirtschaft hohen Anteil an älteren Ar­beitnehmenden, gibt man sich heute relativ gelassen gegenüber der demografischen Entwicklung. Es brauche Anpassungen, heisst es, so gibt es sowohl in Bern wie in Zürich ein Konzept, mit welchen Massnah­men man sich auf die demografischen Ver­änderungen vorbereiten will. Denn bereits im Jahr 2010 werden die Frauen und Män­ner über 40 Jahre mit 55 Prozent in der Schweiz die Mehrheit der Bevölkerung bil­den. Im Kanton Zürich sind die ersten spe­zifischen Kurse umgesetzt worden. Ältere Arbeitnehmende erhalten spezielle Weiter­bildungen, aber auch die Vorgesetzten wer­den geschult, damit sie die älteren Arbeit-nehmenden in Zukunft besser einbinden.

Zwar gibt es neben der öffentlichen Hand eine Reihe von Unternehmen, die in den letzten Jahren eine altersgerechte Politik eingeführt haben und ihre älteren Mitarbei­tenden gezielt fördern. Dass die Schweizer Arbeitgeber jedoch grundsätzlich auf die demografische Entwicklung schlecht vorbe­reitet sind, zeigt eine Studie der Personal­vermittlungsfirma Adecco, die diesen Früh­ling veröffentlicht wurde: Eine Umfrage in verschiedenen europäischen Ländern zu dieser Frage ergibt, dass nur gerade Frank­reich noch schlechter als die Schweiz ab­schneidet. Fazit der Studie: Die Schweiz hat einen grossen Nachholbedarf und muss ihre älteren Arbeitnehmenden besser ein­binden, sei es durch gezielte Weiterbil­dungen oder durch Gesundheitsschulung.

VERLUST AN KNOW-HOW

Ja-Job ist ein neues Stellenvermittlungsbüro in Stäfa. «Ja» steht für jung und alt. Warum richtet sich die Firma explizit auch an ältere Stellensuchende? Mitinhaber Bernhard Müller ist auch Inhaber einer Informatikfir­ma. Er hat miterlebt, wie viele seiner Kun­den in den letzten Jahren ältere Mitarbei­tende entliessen. «So begann ich mich für diese Altersgruppe zu interessieren. Ich wollte etwas für sie tun.» Wichtig ist seiner Meinung nach, dass Erwerbslose so schnell wie möglich individuell gecoacht werden. Er und seine Geschäftspartnerin arbeiten eng mit den RAV zusammen, für die sie ein Stellenvermittlungsprogramm konzipiert haben. Müller hat kürzlich 300 Firmen im Raum Zürich einen Fragebogen zum Thema 50+ verschickt. Die Frage, ob sie über 50­Jährige einstellen würden, hätten noch er­staunlich viele mit Ja beantwortet. Eine wei­tere Frage lautete, ob sie sich auch öffentlich dafür stark machen würden. Darauf sei die Antwort durchwegs klar ausgefallen: Kein Interesse. Dass vermehrt auch wieder Ältere
zum Zug kommen, erstaunt Müller nicht. «In vielen Firmen merkt man, dass die alten Füchse fehlen.» Die Kündigungswelle vor rund fünf Jahren hat seiner Meinung nach «riesige Know-how-Löcher hinterlassen».

VORBEHALTE JE NACH KONJUNKTUR

Trotz allen Schwierigkeiten: Der Anteil der Arbeitslosen in der Altersgruppe 50 bis 59 ist deutlich geringer als in allen anderen Alters­kategorien. Ganz anders sehen die Zahlen bei den Langzeitarbeitslosen aus. Die kürz­lich erschienene AMOSA-Studie** zu Lang­zeitarbeitslosigkeit bestätigt, dass ältere Arbeitnehmende seltener arbeitslos werden als jüngere. Wenn sie aber arbeitslos wer­den, dann ist ihr Risiko, langzeitarbeitslos zu werden, sehr hoch. Die Studie kommt in der in der Altersgruppe 50 bis 59 auf 31 Pro­zent bzw. 39 Prozent.

«Seit etwa einem Jahr ist wieder etwas Bewegung in den Stellenmarkt gekommen», sagt Suzanne Bauer, Leiterin des RAV Win­terthur, «und zwar so, dass durchaus auch Ältere wieder vermehrt eingestellt werden.» Es sei jedoch ein Riesenunterschied, ob je­mand 50 oder 60 Jahre alt sei. «Die Chance, mit über 60 Jahren nochmals eine neue Stel­le zu finden, ist gleich null.» Voraussetzung für eine neue Stelle sei bei älteren jedoch mehr noch als bei jüngeren Stellensuchen­den, dass die Arbeitsbiografie stimmt, das heisst, eine gute Ausbildung, gute Arbeits­zeugnisse und ein lückenloser Lebenslauf sind unerlässliche Voraussetzungen. An­sonsten sei der Jugendlichkeitswahn auf dem Arbeitsmarkt noch weit verbreitet, ganz besonders in der IT- und Multimedia-Branche. Ihrer Meinung nach ist der Um­gang mit dem Alter der Mitarbeitenden eine Frage der Firmenkultur. «Ich persön­lich finde eine gewisse altersmässige Band­breite überhaupt kein Problem, ganz im Gegenteil», sagt Suzanne Bauer. Auf dem RAV in Winterthur seien selbstverständlich Mitarbeitende aus mehreren Generationen vertreten. Die Jüngeren könnten vom Know-how der Älteren profitieren. Für Vor­behalte gegenüber Älteren gibt es ihrer Mei­nung nach verschiedene Gründe. «Druck und Tempo haben sicher sehr zugenommen und so sind vielleicht gewisse Personalver­antwortliche der Ansicht, dass die Älteren nicht mehr mithalten können.» Doch sei es erstaunlich, betont Suzanne Bauer, wie schnell solche Vorurteile verschwinden, wenn es mit der Konjunktur wieder auf­wärts geht. .

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