Ältere Arbeitssuchende
In den nächsten Jahren wird sich die Altersstruktur der arbeitenden Bevölkerung verändern. Die zahlenmässig starken Jahrgänge gehen in Pension und geburtenschwache Jahrgänge folgen nach. Was Experten für ungefähr das Jahr 2015 voraussagen, hat in manchen Branchen bereits begonnen: ein Mangel an Arbeitskräften. Macht man sich in den Unternehmen im Hinblick auf diesen demografischen Wandel Gedanken? Werden neue Modelle entwickelt, damit auch ältere Stellensuchende wieder vermehrt eine Chance haben?
«Partiell kann man ein Umdenken feststellen, im grossen Ganzen aber ist der Stellenmarkt immer noch sehr auf Junge konzentriert», sagt Ruedi Winkler, Inhaber einer Firma für Personal- und Organisationsentwicklung und Verfasser der soeben erschienenen Infoschrift «Arbeitnehmende 50+»*. Dass man sich in den Firmen aber seriös mit dem anstehenden Wandel auseinandersetze, davon könne keine Rede sein. «So lange im Voraus planen Unternehmen gar nicht.» Reagiert werde immer nur kurzfristig. «In manchen Firmen werden jetzt Pensionierte wieder eingestellt, weil man festgestellt hat, dass man in etwas zu grossem Stil Mitarbeitende frühzeitig in Pension geschickt hatte.» Solche Massnahmen lägen aber immerhauptsächlich im Interesse der Unternehmen und hätten noch nichts mit «alternsgerechter» Personalpolitik zu tun. «Unternehmen sind nun mal keine sozialen Institutionen.» Wenn Firmen ihre Mitarbeitenden bis zur regulären Pensionierung beschäftigten, sei das auch schon «das höchste der Gefühle». Neu einstellen würden sie Bewerbende dieser Alterklasse aber auch nicht mehr.
«Anfang, Mitte 50 – das ist doch eigentlich noch kein Alter», sagt Susanne Britschgi, Mitinhaberin der Axos Personalberatung in Zürich. Aus ihrer täglichen Arbeit weiss sie aber nur zu gut, dass eben dieses Alter manchen Stellensuchenden zum Verhängnis wird. «Die Budgets für Personalkosten sind knapp, die Personalverantwortlichen müssen das Optimum herausholen.» Junge Stellenbewerber gäben sich mit niedrigeren Löhnen zufrieden und passten damit überall besser ins Lohngefüge. Ältere hätten häufig unrealistische Lohnvorstellungen. Solchen Kunden rate sie, Abstriche zu machen. Tatsächlich kommt es laut Susanne Britschgi häufig vor, dass ältere Stellensuchende an einer neuen Stelle deutlich weniger verdienen. Ein häufig geäussertes Argument von Personalverantwortlichen gegen Ältere sei, dass man eine Reihe von Mitarbeitenden in die Frühpension geschickt habe und nur schon aus diesem Grund nicht wieder solche einstellen könne. «Und dann ist es einfach so, dass die Leute in den Personalabteilungen in der Regel sehr jung sind und aus ihrer Perspektive jeden über 50 schlicht als alt empfinden.» Auf die Frage, ob ihr in letzter Zeit eine punkto altersgerechter Personalpolitik vorbildliche Firma aufgefallen sei, sagt Susanne Britschgi: «Nein, ich könnte keine nennen.»
ALTERSFREIE PRIVATWIRTSCHAFT
Wie sich die heute gängige Personalpolitik auf die Zusammensetzung der Mitarbei‑enden auswirkt, zeigen die Zahlen deutlich: So sind zum Beispiel bei der Baloise nur gerade 3,4 Prozent der Angestellten über 50 Jahre alt. Bei der Clariant sind es lediglich 4,2 Prozent. Kaum besser schneidet Holcim ab: Hier arbeiten 4,9 Prozent der Angestellten, die mindestens fünfzig Jahre alt sind. Bei der Swiss Re sind es sogar nur gerade 2,1 Prozent, wie eine Umfrage des Wirtschaftsmagazins «Cash» zeigt.
Doch wo arbeiten jene Arbeitnehmenden, die zwischen 50 und 60 Jahren alt sind? Fragt man bei der öffentlichen Hand nach, stösst man auf eine ganz andere Altersstruktur: So sind zum Beispiel 30 Prozent der kantonalen Angestellten im Kanton Bern über 50 Jahre alt. Im Kanton Zürich ist zwar nicht gerade jeder dritte Angestellte über 50, aber auch hier heisst es, dass man eine regelmässige Verteilung der verschiedenen Altersklassen hat. Im Kanton Bern erklärt man sich die Unterschiede zur Privatwirtschaft unter anderem mit «einem anderen Mob ilitätsverhalten». Wer zum Beispiel als Polizist beim Kanton angestellt ist, bleibt oft bis zur Pensionierung dem Arbeitgeber treu. Nicht zuletzt auch deshalb, weil es in diesen Berufen kaum möglich ist, den Arbeitgeber zu wechseln.
Da die Kantone bereits Erfahrungen gesammelt haben mit einem im Vergleich zur Privatwirtschaft hohen Anteil an älteren Arbeitnehmenden, gibt man sich heute relativ gelassen gegenüber der demografischen Entwicklung. Es brauche Anpassungen, heisst es, so gibt es sowohl in Bern wie in Zürich ein Konzept, mit welchen Massnahmen man sich auf die demografischen Veränderungen vorbereiten will. Denn bereits im Jahr 2010 werden die Frauen und Männer über 40 Jahre mit 55 Prozent in der Schweiz die Mehrheit der Bevölkerung bilden. Im Kanton Zürich sind die ersten spezifischen Kurse umgesetzt worden. Ältere Arbeitnehmende erhalten spezielle Weiterbildungen, aber auch die Vorgesetzten werden geschult, damit sie die älteren Arbeit-nehmenden in Zukunft besser einbinden.
Zwar gibt es neben der öffentlichen Hand eine Reihe von Unternehmen, die in den letzten Jahren eine altersgerechte Politik eingeführt haben und ihre älteren Mitarbeitenden gezielt fördern. Dass die Schweizer Arbeitgeber jedoch grundsätzlich auf die demografische Entwicklung schlecht vorbereitet sind, zeigt eine Studie der Personalvermittlungsfirma Adecco, die diesen Frühling veröffentlicht wurde: Eine Umfrage in verschiedenen europäischen Ländern zu dieser Frage ergibt, dass nur gerade Frankreich noch schlechter als die Schweiz abschneidet. Fazit der Studie: Die Schweiz hat einen grossen Nachholbedarf und muss ihre älteren Arbeitnehmenden besser einbinden, sei es durch gezielte Weiterbildungen oder durch Gesundheitsschulung.
VERLUST AN KNOW-HOW
Ja-Job ist ein neues Stellenvermittlungsbüro in Stäfa. «Ja» steht für jung und alt. Warum richtet sich die Firma explizit auch an ältere Stellensuchende? Mitinhaber Bernhard Müller ist auch Inhaber einer Informatikfirma. Er hat miterlebt, wie viele seiner Kunden in den letzten Jahren ältere Mitarbeitende entliessen. «So begann ich mich für diese Altersgruppe zu interessieren. Ich wollte etwas für sie tun.» Wichtig ist seiner Meinung nach, dass Erwerbslose so schnell wie möglich individuell gecoacht werden. Er und seine Geschäftspartnerin arbeiten eng mit den RAV zusammen, für die sie ein Stellenvermittlungsprogramm konzipiert haben. Müller hat kürzlich 300 Firmen im Raum Zürich einen Fragebogen zum Thema 50+ verschickt. Die Frage, ob sie über 50Jährige einstellen würden, hätten noch erstaunlich viele mit Ja beantwortet. Eine weitere Frage lautete, ob sie sich auch öffentlich dafür stark machen würden. Darauf sei die Antwort durchwegs klar ausgefallen: Kein Interesse. Dass vermehrt auch wieder Ältere
zum Zug kommen, erstaunt Müller nicht. «In vielen Firmen merkt man, dass die alten Füchse fehlen.» Die Kündigungswelle vor rund fünf Jahren hat seiner Meinung nach «riesige Know-how-Löcher hinterlassen».
VORBEHALTE JE NACH KONJUNKTUR
Trotz allen Schwierigkeiten: Der Anteil der Arbeitslosen in der Altersgruppe 50 bis 59 ist deutlich geringer als in allen anderen Alterskategorien. Ganz anders sehen die Zahlen bei den Langzeitarbeitslosen aus. Die kürzlich erschienene AMOSA-Studie** zu Langzeitarbeitslosigkeit bestätigt, dass ältere Arbeitnehmende seltener arbeitslos werden als jüngere. Wenn sie aber arbeitslos werden, dann ist ihr Risiko, langzeitarbeitslos zu werden, sehr hoch. Die Studie kommt in der in der Altersgruppe 50 bis 59 auf 31 Prozent bzw. 39 Prozent.
«Seit etwa einem Jahr ist wieder etwas Bewegung in den Stellenmarkt gekommen», sagt Suzanne Bauer, Leiterin des RAV Winterthur, «und zwar so, dass durchaus auch Ältere wieder vermehrt eingestellt werden.» Es sei jedoch ein Riesenunterschied, ob jemand 50 oder 60 Jahre alt sei. «Die Chance, mit über 60 Jahren nochmals eine neue Stelle zu finden, ist gleich null.» Voraussetzung für eine neue Stelle sei bei älteren jedoch mehr noch als bei jüngeren Stellensuchenden, dass die Arbeitsbiografie stimmt, das heisst, eine gute Ausbildung, gute Arbeitszeugnisse und ein lückenloser Lebenslauf sind unerlässliche Voraussetzungen. Ansonsten sei der Jugendlichkeitswahn auf dem Arbeitsmarkt noch weit verbreitet, ganz besonders in der IT- und Multimedia-Branche. Ihrer Meinung nach ist der Umgang mit dem Alter der Mitarbeitenden eine Frage der Firmenkultur. «Ich persönlich finde eine gewisse altersmässige Bandbreite überhaupt kein Problem, ganz im Gegenteil», sagt Suzanne Bauer. Auf dem RAV in Winterthur seien selbstverständlich Mitarbeitende aus mehreren Generationen vertreten. Die Jüngeren könnten vom Know-how der Älteren profitieren. Für Vorbehalte gegenüber Älteren gibt es ihrer Meinung nach verschiedene Gründe. «Druck und Tempo haben sicher sehr zugenommen und so sind vielleicht gewisse Personalverantwortliche der Ansicht, dass die Älteren nicht mehr mithalten können.» Doch sei es erstaunlich, betont Suzanne Bauer, wie schnell solche Vorurteile verschwinden, wenn es mit der Konjunktur wieder aufwärts geht. .
Labels: arbeitslos, ausgesteuert, M-Budget, Migros, RAV, sozial, Sozialbehörden, Stellenabbau, Wirtschaft
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